Live ist besser, weil näher dran an einer echten, nicht-virtuellen Konferenz – soweit die landläufige Meinung vieler Veranstalter, die nun zum ersten Mal vor der Aufgabe stehen, ihre Konferenz irgendwie in den virtuellen Raum zu holen. Bei einer Apple-Keynote live vor dem Bildschirm zu sitzen ist schließlich auch viel besser als erst einen Tag später in Form eines Videos von den Neuheiten zu erfahren, über die alle schon seit Stunden reden. Das mag stimmen, lässt sich aber nicht so ohne Weiteres auf eine Konferenz übertragen, die neben der Keynote noch ein paar mehr Programmpunkte zu bieten hat. Immerhin ist eine virtuelle Konferenz auch nicht dasselbe wie eine Zoom-Session – ein anderer weit verbreiteter Irrglaube.
Ein bisschen Wahrheit ist dennoch dabei, denn virtuelle Konferenzen und Kongresse können stark von Livestreams profitieren.
Live-Formate: Nah dran am Geschehen
Das Publikum direkt einbeziehen und auffordern, an den Inhalten mitzuwirken – das funktioniert als Aufzeichnung schlecht, in Live-Form dafür gleich auf zwei unterschiedlichen Wegen:
Zunächst wäre da ein Format, das vielen schon aus Online-Besprechungen bekannt vorkommen sollte: Die Teilnehmenden wählen sich in ein Meeting ein, um direkt über ihr Mikrofon- und Webcam-Signal miteinander zu kommunizieren. Gesprächsrunden, Gruppendiskussionen und Workshops lassen sich auf diesem Weg sehr gut ins Virtuelle übertragen.
Belohnt werden Teilnehmende dabei mit Live-Feeling, durch das die virtuelle Veranstaltung tatsächlich ein ganzes Stück näher an einer Vor-Ort-Konferenz ist, nicht zuletzt, weil ihr aktives Mitwirken gefragt ist.
Die andere ebenfalls live stattfindende Variante sind Live-Streams: Eine in Echtzeit übertragende Veranstaltung, die sich Teilnehmende in einem Video-Player ansehen. Für Zusehende gibt es hier allerdings keine Möglichkeit, sich direkt per Audio oder Video direkt ins Gespräch einzuklinken. Kommuniziert werden kann aber schriftlich über Nebenkanäle der virtuellen Plattform, die Chats, Fragen und Umfragen erlauben.
Daraus ergibt sich eine größere Flexibilität in Bezug auf die Inhalte, über die gesprochen wird. Wer als Vortragender ein kurzes Stimmungsbild braucht, startet während des Streams eine Live-Umfrage und kann mit den Ergebnissen gleich weitermachen. Ähnlich verhält es sich mit Fragen, die Vortragende sofort beantworten können, sodass diese nicht verlorengehen oder erst viel später wieder aufgegriffen werden. Durch die fehlende Live-Interaktion bei voraufgezeichneten Inhalten müssen Veranstalter hingegen immer andere Wege finden, um Diskussionen und Kommentare aufrechtzuerhalten bzw. darauf zu reagieren, etwa indem Speaker*innen Fragen schriftlich beantworten oder das in einem weiteren Video tun, das im Laufe der Konferenz aufgenommen wird.
Bei beiden Live-Formaten entsteht eine stärkere Verbindung zwischen den Beteiligten. Die Teilnehmenden sehen etwas, das gerade in diesem Moment passiert, was auch die parallel stattfindende Diskussion einschließt.
Empfehlenswert sind beide Live-Formate auch dann, wenn neue, kurzfristige Entwicklungen Berücksichtigung finden sollen. Wenn Videos für eine Konferenz voraufgezeichnet werden, passiert das oft schon mehrere Tage, manchmal mehrere Wochen im Voraus. Auf alles, was bis dahin geschieht, kann das Video nicht mehr eingehen. Und egal, ob dann mit einem kurzen schriftlichen Hinweis auf die Updates reagiert oder noch eine eilig aufgenommene Sequenz angefügt wird: Die ursprüngliche Aufnahme erfährt dadurch eine gewisse Abwertung und das Ergebnis wirkt wie eine hastig zusammengeflickte Lösung – was sie am Ende ja auch ist. Sehr aktuelle, stark diskutierte Themen funktionieren darum meist besser in Form von Live-Formaten.
Ein fester Termin, der für einen Stream angesetzt ist, bewegt manchmal mehr Leute zur Teilnahme als Videos, die dauerhaft zur Verfügung stehen. Sind die Aufzeichnungen rund um die Uhr verfügbar, neigen Teilnehmende manches Mal dazu, das Drücken des Play-Buttons vor sich herzuschieben, weil noch genügend Zeit ist, das später nachzuholen. Je mehr Zeit vergeht, desto eher gerät das jedoch in Vergessenheit. Das gilt jedoch vermutlich vor allem für Konferenzen, für die keine oder nur eine sehr geringe Teilnahmegebühr verlangt wird. Wer mehr Geld für die Anmeldung ausgibt, wird sich schon alleine deshalb intensiver mit den Inhalten beschäftigen wollen.
Aufzeichnungen: Störungsfrei flexibel
Finden Konferenzen virtuell statt, darf man davon ausgehen, dass viele der Teilnehmenden sie von zu Hause aus verfolgen, wo tendenziell mehr Ablenkungen in Form klingelnder Postboten oder ins Zimmer rennender Kinder lauern, die meist genau dann auf der Bildfläche erscheinen, wenn es überhaupt nicht passt. Bei einem Video ist das nicht schlimm: einmal Pause drücken und später fortsetzen. Streams und die parallel dazu stattfindende Diskussion lassen sich davon leider nicht beeindrucken und laufen einfach weiter.
Dasselbe passiert bei technischen Störungen, die ähnliches Potenzial haben, Teilnehmende vom Live-Programm abzuschneiden. Langsame Verbindungen oder plötzliche Ausfälle können jederzeit für unliebsame Stream-Abbrüche sorgen – übrigens nicht nur auf Seite der Zuschauer*innen. Auch Veranstalter sind nicht davor gefeit, dass die Technik ihnen einen Strich durch die Rechnung macht. Was sich bei professionellen Streams, die direkt aus einem Studio kommen, noch vergleichsweise gut kontrollieren lässt, wird beim Do-it-yourself-Streaming durch die Vortragenden schnell zur fehleranfälligen Komponente. Personen ohne Erfahrung können dann nur darauf hoffen, das Problem schnell eingrenzen und beheben zu können. Generell kann das Streamen von zu Hause aus mal mehr oder weniger große Schwierigkeiten bereiten, weil die verfügbare Hardware und Aufnahmebedingungen nicht überall dieselben sind, wodurch die Qualität der Streams von Speaker zu Speakerin manchmal schwankt. Am ehesten umgehen lässt sich das beim Streamen aus einem Studio, wodurch sich das Abbruchrisiko zumindest auf Streamerseite reduziert.
Aufzeichnungen hier sind klar im Vorteil, denn ist die Produktion des Videos einmal abgeschlossen, kann es hochgeladen werden. Technische Störungen sind anschließend keine mehr zu befürchten. Falls das Video beim Ansehen doch mal hängenbleibt, geht es spätestens nach dem nochmaligen Laden der Seite weiter, ohne dass zwischendrin Infos verlorengehen.
Zu beachten sind außerdem verschiedene Zeitzonen. Nicht überall beginnt ein Stream zu einer annehmbaren Uhrzeit. Veranstalter mit internationalem Publikum müssen hier vorsichtig sein und sollten nicht darauf bauen, dass Teilnehmende extra für die Konferenz gewillt sind, ihren kompletten Tagesablauf auf den Kopf zu stellen.
Und so spannend ein Live-Event auch sein mag, für viele ist es beruhigend zu wissen, dass sie nichts verpassen, wenn der eigene Terminplan das Live-Dabeisein nicht hergibt. Aufzeichnungen punkten hier im direkten Vergleich zu Streams und Vor-Ort-Konferenzen mit ihrer hohen Flexibilität. Jemand, der erst nach Feierabend ins Konferenzgeschehen einsteigen kann, verpasst genauso wenig wie Eltern, die zwischendurch ihre Kinder betreuen und dafür ein paar Stunden Konferenzpause einlegen. Gibt es mehrere parallel laufende Tracks, kann ohne Kompromisse alles angesehen werden.
Bei so ziemlich jeder wissenschaftlichen Konferenz sind ein paar Redner*innen dabei, die gar nicht so gern Vorträge vor Publikum halten. Wenn sie ihre Präsentation stattdessen aufzeichnen können, legt sich die Nervosität schneller, denn schiefgehen kann nichts. Wer nicht zufrieden ist, unternimmt einfach noch einen Versuch und veröffentlicht am Ende das beste Ergebnis. Passiert ein Fehler dagegen live, muss er irgendwie angesprochen oder geschickt überspielt werden, was nicht immer gelingt und manche Vortragende komplett aus der Bahn wirft, auch wenn sie selbst ihr virtuelles Publikum gar nicht sehen können.
Eine Nachbearbeitung des Videomaterials ist generell sinnvoll, weil dazu auch das Einfügen von Untertiteln gehören kann. Damit kommt die virtuelle Konferenz besonders hörgeschädigten Teilnehmenden entgegen und die Konferenz wird insgesamt inklusiver. Untertiteln klappt zwar auch bei Livestreams, das ist jedoch ein mit deutlich mehr Aufwand verbundener Prozess, der eine sehr gute Spracherkennungssoftware und ein sehr schnell arbeitendes Multi-Tasker-Team voraussetzt.
Livestream oder und Aufzeichnungen?
Jetzt noch eine gute Nachricht für alle, die noch immer zu keiner endgültigen Entscheidung gelangt sind: Manchmal kann eine Kombination aus beiden Varianten zum Mittel der Wahl werden.
Denkbar wäre zum Beispiel, schon fertig produzierte Videos zu einem festen Termin quasi-live zu übertragen. Veranstalter haben so mehr Sicherheit als bei einer direkten Live-Übertragung hinsichtlich zu befürchtender technischer Störungen. Teilnehmende wiederum müssen abwarten, bis bestimmte Inhalte verfügbar sind, was mit einem gewissen Reiz und bestenfalls Vorfreude verbunden ist. Interessant ist das auch für hybride Konferenzen, bei denen Teilnehmende vor Ort und virtuell dieselben Inhalte in Echtzeit sehen und kommentieren.
Eine weitere Verbindung, die das Beste aus Live-Formaten und voraufgezeichneten Inhalten zusammenführt, sind Talks, die als Aufzeichnung entweder gleich zu Beginn der Konferenz oder quasi-live zu einem festen Termin zur Verfügung stehen. Nach der Ausstrahlung kann sich eine Q-&-A-Session in Form eines Online-Meetings anschließen, in der Referierende live auf die Fragen der Teilnehmenden eingehen.
Oft ist es zudem sinnvoll, Teilnehmenden nach Ende der Live-Übertragung eine Aufzeichnung zugänglich zu machen.
Darüber, ob es eher in Richtung live oder Aufzeichnung gehen soll, entscheidet am Ende auch das Thema der Konferenz ein Stück weit mit. Bei einer Konferenz zum Coronavirus wären vorproduzierte Vorträge das falsche Signal, wenn parallel auf den Preprint-Servern viel aktuellere Erkenntnisse zum Thema veröffentlicht werden. Weniger dynamische Inhalte lassen sich dagegen immer gut vorproduzieren.
Nicht zuletzt können sogar den überzeugtesten Live-Verfechtern Aufzeichnungen nicht schaden. Als in diesem Jahr die Berliner Software-Firma Camunda Services zum ersten Mal auf ein virtuelles Konferenzformat ausweichen musste, entschied sich das Team dazu, einige der Präsentationen vorab aufzuzeichnen, weil nicht absehbar war, ob die Vortragenden beim Stream dabei sein können. Keine der Fallback-Aufzeichnungen kam schlussendlich zum Einsatz, aber alleine die Tatsache, dass eine Lösung für den Notfall existiert, kann eine extrem beruhigende Wirkung haben. Zu beachten ist hierbei allerdings der Mehraufwand, denn die Vortragenden müssen ihre Präsentation zweimal halten.
Unabhängig davon, welcher Variante Veranstalter letztlich den Vorzug geben, sollte zumindest die Plattform für die virtuelle Konferenz beides können.
Für welche Art der Übertragung entscheiden Sie sich – und warum?