Wieso ist das überhaupt so wichtig? Können wir das Thema nicht einfach aussitzen und nichts unternehmen, bis irgendwann mal so was wie ein Konsens gefunden ist? Sicher, nur ließe sich das schwer mit unserer generellen Auffassung vereinbaren, Konferenzen als Orte der Begegnung, des Austausches und des Fortschritts zu verstehen, die umso bessere Ideen hervorbringen, je mehr Stimmen Gehör finden. Angesichts zahlreicher aktueller Diskussionen um rein männlich besetzte Panels („Manels“) oder Initiativen, die sich gegen Übergriffe auf Teilnehmerinnen stark machen, würde das außerdem den Eindruck vermitteln, dass es am Status quo nichts zu rütteln gibt. Gerade Sprache ist aber ein starkes Mittel, um diejenigen aus der Unsichtbarkeit zu holen, die sich nicht immer angesprochen fühlen. Und wenn Sprache nicht inklusiv ist, kann es dann die Konferenz sein?
Keine Einheit
Die Beweggründe sind damit schon mal klar. Für die praktische Umsetzung gilt das leider nicht, denn die Ansätze, Vorschläge und Argumente für oder gegen einzelne Varianten sind vielfältig und vor allem streitbar. Da wir viele wissenschaftliche Konferenzen betreuen, möchten wir versuchen, eine möglichst einheitliche Lösung für alle Hochschulen zu finden, die mit Converia arbeiten. Diese veröffentlichen in der Regel ja eigene Richtlinien für gendergerechte Sprache mit nützlichen Hinweisen, aber ähnlich wie im Duden fehlt die eine alles umfassende Form – und beim Lesen wird schnell klar, dass es die wohl gar nicht gibt. Situatives Entscheiden ist gefragt, denn die einzelnen Optionen sind je nach Kontext mal mehr, mal weniger gut geeignet.
Wer soll gemeint sein?
Bei der Suche nach der inklusivsten Variante würde vermutlich die besonders gut abschneiden, die sich die Mühe macht, alle Angesprochenen zu nennen. Niemand bleibt außen vor, nichts wird verkürzt, alle zufrieden? Denken Sie sich als Auszug aus einer E-Mail beispielsweise folgenden Satz: „Wir möchten die Gutachter und Gutachterinnen bitten, bis zum angegebenen Termin die Bewertung der Konferenzbeiträge vorzunehmen, die die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eingereicht haben.“
Der Gedanke dahinter ist gut, nur zeigt das Beispiel bei aller Vorbildlichkeit, dass die Texte schwerer lesbar werden, wenn beide Varianten immer nebeneinanderstehen. Zieht sich das Muster durch den gesamten Text, streckt es ihn mitunter seeeehr in die Länge. Als einmalige Anrede ist die Paarform hingegen durchaus geeignet. Wer das jetzt überflüssig findet, weil bei der eigenen Veranstaltung sowieso ausschließlich männliche Gutachter über Beiträge ausschließlich männlicher Wissenschaftler urteilen – ja, dann hat die Konferenz tatsächlich noch ein weitaus dringenderes Problem als die Formulierung der Anrede.
Alle!
Die einfachste Variante des Genderns bleibt durchgängig bei der männlichen Form und ergänzt den Text am Ende durch den möglichst kleinstgedruckten Hinweis, dass Frauen selbstverständlich mitgemeint sind. Damit würde den auf korrektes Gendern Bedachten (und vor allem deren möglicher Kritik) gleich zu Beginn ein Riegel vorgeschoben, denn immerhin hat sich jemand mit dem Thema beschäftigt, Fall erledigt. Sobald aber wie vor ein paar Jahren an der Universität Leipzig ein generisches Femininum daraus wird, ruft das schnell mal ein paar Männer auf den Plan, die sich durch die ungewohnte neue „Mitgemeint“-Rolle plötzlich marginalisiert fühlen. An und für sich ist das eine gute Taktik, um die Toleranzspanne anderer zu testen, strenggenommen keine perfekt ausbalancierte Lösung, weil immer eine von beiden Gruppen den Kürzeren bei der Ansprache zieht.
In Converia ist derzeit das generische Maskulinum an einigen Stellen ebenfalls noch Standard. Würden wir uns für ausnahmslos alternative Formulierungen wie „Teilnehmerinnenliste“ entscheiden, sähe sich unser Support wohl sehr bald mit der Frage konfrontiert, wo sich denn die Liste mit den männlichen Teilnehmern befindet – was gar nicht mal so abwegig wäre, ist doch das Femininum im Alltag kein Standard.
Geringe Aussichten auf Erfolg – obwohl eleganter – dürften ebenso die Varianten mit einem Stern oder einem Pluszeichen hinter der Personengruppe haben (Teilnehmerin*, Referent+). Diese sollen der Leserin* jedes Mal aufs Neue ins Gedächtnis rufen, dass die Fußnotenregelung wieder greift und alle Geschlechter gemeint sind. Da das bislang kaum verbreitet ist, erschließt sich die Bedeutung bestimmt nicht auf den ersten Blick. Im Software-Kontext kommt sogar noch eine weitere Schwierigkeit hinzu: Ein Stern am Wortende steht ja meist für ein Pflichtfeld, was möglicherweise erst recht Verwirrung über die Bedeutung stiftet.
Sparsames Gendern
Sparschreibungen sind der Schlüssel, um mit weniger Buchstaben mehr zu gendern. Möglichkeiten und Kombinationen gibt es zuhauf: Teilnehmer/in, Teilnehmer/-in, Teilnehmer(in), TeilnehmerIn sind die vielleicht gebräuchlichsten. Die ersten drei gelten nicht mehr als ganz so schick, da sie den Eindruck entstehen lassen, dass die weibliche Form die weniger wichtige wäre, weshalb sie ausgeklammert oder durch einen Schrägstrich zum lästigen Anhängsel des wichtigeren Wortes herabgestuft wird. Im Gegensatz zur Paarform wirkt sich eine solche Schreibweise wiederum nicht negativ auf die Länge des Textes aus. Vorbehaltlos zu empfehlen ist sie dagegen auch nicht: Sobald ein Text mehrere Personen adressiert und ein Artikel oder ein Pronomen vorangestellt werden sollen, wird es problematisch. „JedeR TeilnehmerIn“ oder „die CME-Punkte des/der teilnehmenden Ärzt/-in werden an sein/ihr Fortbildungskonto übermittelt“ behindern den Lesefluss schon wieder gewaltig. Das zweite Beispiel wäre gleichzeitig noch grammatikalisch falsch. Unbedachte Wortschöpfungen wie „Ärzt“ verhindert zum Beispiel das Synonym „Mediziner/-innen“.
Gender Gaps und Sternchen
Seit diesem Jahr ist es in Deutschland möglich, den Geschlechtseintrag „divers“ als dritte Option im Personenstandsregister einzutragen. In Bezug auf das Formulieren von Texten bedeutet das, dass Geschlecht als Spektrum statt als binäres System verstanden wird. Um das abzubilden, gibt es progressive Symbole wie das Gender-Sternchen * oder den Gender Gap _, die Identitäten jenseits von männlich und weiblich einschließen und Inter- sowie Transgeschlechtlichen nun endlich den Platz einräumen, den das Binnen-I einst dichtgemacht hat. Mit „Teilnehmer*innen“ oder „Teilnehmer_innen“ darf sich jede*r ohne Ausnahme angesprochen fühlen. Experimentiert wurde mit dem Stern vielerorts schon fleißig, weshalb er Ihnen sicher schon mindestens einmal begegnet ist. Wieso werten wir die Personenbezeichnungen in unserer Software dann nicht einfach damit auf anstatt einen solchen Artikel zu veröffentlichen?
Unter anderem, weil die Variante ein neues Problem für eine Personengruppe mit sich bringt, die ebenfalls oft nicht ausreichend Beachtung beim Design von Websites und Software findet: Nutzer*innen eines Screenreaders, der Texte für sie vorliest. Dieser tut sich bei Sonderzeichen mitunter schwer: Beim letzten Satz würde die Ausgabe in der Regel „Nutzer-Stern-in“ lauten. Zwar kann das Hilfsmittel oft so eingestellt werden, dass solche Sonderzeichen keine Erwähnung mehr finden, nicht mehr mitgelesen würden danach aber auch die vorhin schon erwähnten Sterne für Pflichtfelder, die ja wieder eine ganz andere Bedeutung haben und nicht einfach wegfallen dürfen. Das 100% Barrierefreiheits-Prädikat hätte das Ergebnis jedenfalls nicht verdient.
Alle weiteren sprachlichen Komplikationen vermag der Stern ebenso wenig zu lösen. Die Sache mit der Anrede zum Beispiel. Streng genommen dürften Non-Binäre – Personen, die sich ungeachtet ihres biologischen Geschlechts weder als Mann noch als Frau identifizieren – bei der Anmeldung zur Konferenz die dritte Option gar nicht auswählen. Laut des neuen Gesetzes werden nur Anträge von Menschen berücksichtigt, denen eine ärztliche Bescheinigung eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ bestätigt. Und selbst diese fühlen sich mit dem „Divers“-Label nicht automatisch wohler, erweckt der Begriff doch den Eindruck, statt eines gleichberechtigten weiteren Geschlechts eine Art diffuses Auffangbecken zu sein für – salopp formuliert – alles, was es eben sonst noch so gibt.
Ginge es bei einer Konferenz nicht lieber ganz ohne Anrede? Das grenzt niemanden aus und würde sicherlich als fortschrittlich wahrgenommen, stellt Veranstalter*innen beim Formulieren von E-Mails an die Teilnehmenden jedoch gleich vor die nächste Hürde. Die Anrede hier jetzt auch weglassen? Das mutet zumindest etwas merkwürdig und unpersönlich an und funktioniert allenfalls für Konferenzen, die einen lockeren Umgangston à la „Hallo [Vorname]“ pflegen. Nun wissen wir aber aus langjähriger Erfahrung, dass es beim Gros der von uns begleiteten Veranstaltungen ein wenig förmlicher zugeht und es folglich eine Anrede geben muss.
Das sind mindestens zwei Baustellen, die weitere Lösungen erfordern.
Umschreiben, abwechseln oder direkt ansprechen
Für so ziemlich jedes Wort gibt es eine „geschlechtslose“ Form oder Umschreibung, das Partizip Präsens. Aus dem Teilnehmer wird der Teilnehmende, aus dem Referenten der Referierende, aus dem Studenten der Studierende. Manchmal klingt das gewöhnungsbedürftig, wenn etwa von „den Bloggenden“ statt Bloggern oder Blog-Betreibern, den „Helfenden“ statt den Helfern oder von den „Veranstaltenden“ statt dem Veranstalter die Rede ist. Relativsätze mit „alle, die einen Blog führen/ihr Eigen nennen“ können das ebenso auflockern wie Abwandlungen in Form von „Hilfskräften“ oder einer Umformulierung zu „veranstaltet von“. Texte wirken ohnehin viel lebendiger, sobald sich nicht mehr nur ein Substantiv ans nächste reiht und jeder Satz nach dem gleichen Schema aufgebaut ist. Das funktioniert auch für die Teilnehmer-Anmeldung(?), Teilnehmenden-Anmeldung(?) oder Online-Registrierung! Da die Preisgruppen bei jeder Konferenz sehr individuell sind, gibt es hier von unserer Seite ohnehin keine Namenskonventionen für Organisationsteams (ehemals „Organisatoren“). Kreativ zu sein ist erlaubt – wenigstens solange Sie beim Plural bleiben. Sobald es nur noch um den einzelnen Teilnehmenden geht, wäre dieser sofort wieder männlich besetzt. An den Stellen, an denen es weniger auf eine spezifische Personengruppe ankommt, nutzen wir in Converia deshalb „Person“ statt „Teilnehmer“.
Bei der Überarbeitung des Converia-Handbuchs formulieren wir ebenfalls eher neutral. Die Texte müssen leicht zu verstehen sein und der Einbau von Paarformen oder Gender-Sternchen erschien uns hinderlich, was die Lesbarkeit des fertigen Kapitels betrifft. Zudem wechseln sich in unserer Formulierung die Handelnden oft ab – mal ist von der Teilnehmerin oder der Vorsitzenden zu lesen, mal von deren männlichem Pendant. Nicht ganz unwesentlich ist dabei allerdings das Problem mit dem Kontext. Wenn von einer „Teilnehmerin“ die Rede ist – gilt die Aussage dann wirklich nur für weibliche Personen? Denken Sie an einen Workshop, der sich laut Beschreibung an Informatikerinnen richtet. Heißt das, es dürfen auch andere, nicht weibliche Personen teilnehmen, die auf dem Gebiet der Informatik bewandert sind? Oder ist das in dem speziellen Fall tatsächlich nicht gewollt?
Wo möglich, sprechen Sie die Leserschaft direkt an. „Bitte denken Sie daran, bis zum oben genannten Termin die Bewertung der Konferenzbeiträge vorzunehmen.“ Auf diesem Weg umschiffen Sie sämtliche geschlechtsspezifische Formulierungen. Bei Anweisungen und wichtigen Hinweisen hat das außerdem den Nebeneffekt, dass die Aussage länger im Gedächtnis bleibt, weil eine konkrete Aufgabe für jemanden damit verknüpft ist.
Und wie lautet die Handlungsanweisung für unsere Konferenz-Software?
Die perfekte Lösung haben wir bislang nicht gefunden. Für das Gendern würden wir am liebsten ein möglichst konsistentes Vorgehen etablieren, das gleich noch sämtliche Missverständnisse vermeidet. So muss etwa immer klar sein, ob nur eine Person oder mehrere gleichzeitig bearbeitet werden können. Erschließt sich das aus der Formulierung nicht, ist die Schwachstelle auf Entwicklungsebene zu suchen, nicht bei den Nutzer_innen. Ähnlich verhält sich das bei Dokumenten, die Converia erstellt. Automatisch generiert unsere Software etwa Rechnungen oder Buchungsbestätigungen. Dem sollte keine lange Einrichtungsphase vorausgehen, schließlich möchte Converia Konferenzveranstalter*innen ja Zeit sparen. Genauso wenig sollte ein Handbuch ein weiteres Manual für das Entschlüsseln der gendersensitiven Sprache inklusive Sonderzeichen enthalten müssen.
Was meinen Sie: Inwieweit sollte eine gendergerechte Sprache bei der Software-Entwicklung mitgedacht werden, um bei Konferenzen praktikabel zu sein? Oder kommt es da Ihrer Meinung nach nur auf ein funktionierendes Interface an? Gerne möchten wir bei dem Thema dazulernen, um die Lücke zwischen Anspruch und Praxis zu schließen und Converia so inklusiv wie möglich zu gestalten. Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge und Meinungen.