Educational Grants bei medizinischen Konferenzen

Wenn Industrievertreter Fachkräfte im Gesundheitswesen mit finanziellen Zuwendungen unterstützen, hat das manchmal einen eher zweifelhaften Beigeschmack. Ist das noch seriös oder schon eine indirekte Beeinflussung der gesponserten Personen? Diese werden sich ja vielleicht später irgendwann auf die ein oder andere Weise erkenntlich zeigen. Ob das letztlich immer so kam oder nicht, ließ sich zwar nie so genau vorhersagen, die Gefahr der Korruption war aber für MedTech Europe Anlass genug, um dem Sponsoring in seiner bisherigen Form zum 1. Januar 2018 ganz offiziell einen Riegel vorzuschieben. Seitdem gilt der „Code of Ethical Business Practice“ des Gesamtverbands der europäischen Industrie für Medizintechnik. Allen MedTech Europe-Mitgliedsunternehmen ist es seither untersagt, die Konferenzteilnahme medizinischer Fachkräfte direkt zu sponsern. Eine Vorreiterrolle nimmt MedTech Europe damit nicht ein. In den USA, Lateinamerika und China existieren schon länger ähnliche Vorschriften und auch in europäischen Ländern wie Frankreich, der Slowakei, Dänemark und Portugal gibt es schon seit einigen Jahren spezielle Regelungen für mehr Transparenz.

In Deutschland sind direkte Sponsorings bislang nicht illegal, allerdings hat nicht zuletzt der MedTech-Kodex eine Diskussion über deren ethische Vertretbarkeit ausgelöst. Im Kodex Medizinprodukte unterscheidet der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit von Kostenübernahmen danach, ob das Unternehmen die Konferenz selbst organisiert, wo diese stattfindet und ob eine gesponserte Person aktiv oder passiv daran teilnimmt. Weil es bislang keine Rechtsprechung dazu gibt, gestaltet sich die Gesetzeslage sehr unübersichtlich. Prinzipiell können Unternehmen bei Sponsorings sehr schnell unter Korruptionsverdacht geraten. Steht ein solcher einmal im Raum, ist die Staatsanwaltschaft gezwungen, Ermittlungen aufzunehmen. Wer angesichts dessen nicht leichtfertig seinen Ruf aufs Spiel setzen will, stellt die finanziellen Unterstützungen daher wohl lieber ganz ein.

Educational Grants als Ersatz für direkte Sponsorings

Das Ziel der Kodizes ist es allerdings nicht, Industrie-Sponsorings komplett zu verbieten. Gerade für medizinische Konferenzen wäre das eine fatale Entscheidung. Kongresse sind einträglich für Veranstalter. Bleibt aber die Unterstützung der Industrie aus, könnte sich die Teilnehmerzahl drastisch reduzieren. Der Effekt war vor fünf Jahren in den USA zu beobachten, als neue gesetzliche Transparenzvorgaben einen Rückgang von bis zu 50% der Kongressanmeldungen zur Folge hatten – kein schöner Gedanke für Veranstalter. Abseits aller finanziellen Verluste ist das auch schädlich für die Karriere- und Nachwuchsförderung. Gerade junge Fachkräfte und Wissenschaftler sollten Gelegenheit bekommen, an Konferenzen teilzunehmen. Große und seit Jahren etablierte Veranstaltungen erheben aber meist sehr hohe Teilnahmegebühren, die viele Interessenten mit knappem Budget vom Ticketkauf abhalten.

Wie lässt sich das nun verhindern, ohne die Industrie ganz auszuschließen? Als lohnenswerte Lösung haben sich Educational Grants erwiesen, gegen die das Gesetz nichts einzuwenden hat, und die ganz ähnlich funktionieren: Hersteller medizinischer Software und Technologien sowie Pharmaunternehmen stellen Fachkräften nach wie vor Geld für die Konferenzteilnahme zur Verfügung, dürfen jedoch nicht mehr selbst entscheiden, wer genau davon profitiert. Der Betrag geht stattdessen zunächst an PCOs oder medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser, die eine Konferenz veranstalten. Anschließend wählen der Veranstalter oder ein PCO die einzelnen Empfänger aus – indirektes Sponsoring sozusagen.

Warum Educational Grants vergeben?

Das weiter oben beschriebene Problem betrifft längst nicht nur Doktoranden oder junges Fachpersonal. Educational Grants helfen auch Ärzten oder Wissenschaftlern aus Niedriglohnländern, für die eine Teilnahme an internationalen Kongressen oft wegen der hohen Kosten nicht in Frage kommt. Wenn auch deren Erfahrungen und Ideen Gehör finden und sie zusätzliches Wissen erwerben, könnte das einen Gewinn für viele andere bedeuten und ebenso für die Qualität der medizinischen Versorgung in ihrem jeweiligen Heimatland.

Darüber hinaus sind Unternehmen aus der Industrie natürlich an der Weiterentwicklung von Anwendungen, Technologien und Fähigkeiten interessiert. Und weil sich gebündeltes, meist sogar interdisziplinäres Fachwissen immer noch am ehesten auf Konferenzen finden lässt, dürfte auch weiterhin großes Interesse daran bestehen, solche Veranstaltungen zu unterstützen. Oft sind ja gerade Konferenzen Orte, an denen die Teilnehmer lernen, wie sie die von den Unternehmen entwickelten Produkte wirksam nutzen können. Educational Grants tragen also letztlich dazu bei, dass Konferenzen weiterhin relevant bleiben und sich nicht zu Exklusiv-Veranstaltungen für all jene entwickeln, die es sich leisten können, den Besuch aus eigener Tasche zu finanzieren.

Integrität und Transparenz

MedTech Europe hat mit dem Kodex noch eine weitere Neuerung eingeführt: Mit Educational Grants dürfen nur Konferenzen unterstützt werden, die vorher ein Compliance-Verfahren („Conference Vetting System“) durchlaufen haben, bei dem geprüft wird, ob die Veranstaltung überhaupt als unterstützenswert eingestuft werden kann. Veranstaltungen ohne fundiertes und relevantes wissenschaftliches Programm werden dabei ausgesiebt, da sie laut der Richtlinien nicht als Weiterbildung gelten. Alle anderen, die den Prozess erfolgreich abgeschlossen haben, werden mitsamt den entscheidenden Kriterien auf dem Ethical MedTech-Portal erfasst, über das auch die Einreichung neuer Veranstaltungen zur Prüfung erfolgt.

Conference Vetting System
Eintrag eines Kongresses auf dem Ethical MedTech-Portal, der das Compliance-Verfahren erfolgreich durchlaufen hat

Daneben haben oft auch Unternehmen und Verbände ihre eigenen, teils strengen Bestimmungen, was die Vergabe von Grants an Konferenzen betrifft. Gegen solche Anforderungen ist aus rechtlicher Sicht nichts einzuwenden – Unternehmen und Organisationen dürfen selbst entscheiden, ob und welche Veranstaltungen sie unterstützen möchten, nur eben nicht die Teilnehmer, denen das Geld zugutekommt.

Unternehmen, die Educational Grants vergeben, mussten außerdem bis spätestens 1. Januar 2019 offenlegen, für welche Konferenzen welche finanziellen Mittel beigesteuert wurden. Zudem ist ein schriftlicher Vertrag mit dem PCO oder der medizinischen Einrichtung erforderlich, in dem unter anderem festgelegt wird, wie das Geld eingesetzt wird und welche Pflichten der Begünstigten damit verbunden sind. Übrigens zertifiziert MedTech Europe neben Veranstaltungen auch PCOs, die bei der Planung der Konferenz und des Grant-Bewerbungsprozesses die Einhaltung des Kodex sicherstellen.

Sponsoren zahlen meist einen festen Betrag pro Teilnehmer, der ebenfalls vorher vereinbart wird. Des Weiteren muss vor dem Start der Bewerbungsphase geregelt werden, welche Kosten durch die Educational Grants abgedeckt werden. Meist sind dabei die für die Teilnehmeranmeldung, Unterkunft und Anreise inbegriffen. Manchmal gehören noch zusätzliche Extras wie eine kostenlose, zeitlich begrenzte Mitgliedschaft in einer Fachgesellschaft dazu. Genaue Informationen zur Kostenübernahme sollten in jedem Fall auf der Website der Konferenz abrufbar sein. Dort sind oftmals auch die Namen der Unternehmen zu finden, die Educational Grants zur Verfügung stellen.

Educational Grants und Event-Management-Software

Da der neue MedTech-Kodex erst seit diesem Jahr gilt, läuft bei vielen Konferenzen das Educational Grant-Bewerbungsverfahren noch relativ sperrig ab. Anders als früher müssen sich Interessenten nun um einen Grant bewerben. Dazu wird auf der Konferenz-Website meist ein Formular als PDF-Datei bereitgestellt, das ausgefüllt und unterschrieben wieder an den Veranstalter geht. Zusätzlich wird für die Bewerbung oft ein Empfehlungs-, manchmal außerdem ein Motivationsschreiben gefordert. Einige Veranstalter arbeiten statt mit PDF-Vorlagen mit Umfragetools, die den Prozess zwar immer digital ablaufen lassen, sich jedoch nicht wirklich eignen – einerseits aus datenschutzrechtlicher Sicht, andererseits, weil die Tools funktional nicht für eine solche Verwendung ausgelegt sind.

Einfacher geht es mit einer Konferenz-Software, die in der Lage ist, das Bewerbungsverfahren abzubilden. Veranstalter stellen somit entweder ein gesondertes Online-Formular auf der Konferenz-Website zur Verfügung oder bieten die Grant-Bewerbung als Option im Rahmen der Teilnehmeranmeldung an.

Obwohl die Unternehmen nicht selbst über die Empfänger ihrer Educational Grants bestimmen dürfen, ist es ihnen erlaubt, Festlegungen zu treffen, welche Voraussetzungen die Bewerber erfüllen müssen, um an die vergünstigte Konferenzteilnahme zu gelangen. Oft wird gefordert, dass diese Mitglied einer bestimmten Fachgesellschaft sein müssen, aus einem bestimmten Land kommen, einer bestimmten Altersgruppe angehören oder nicht bereits im Vorjahr einen Grant erhalten haben. Bei Wissenschaftlern fließen hin und wieder noch weitere Kriterien wie die Anzahl der bisherigen Publikationen in die Entscheidung ein. Eine Rolle spielt manchmal auch der Hirsch-Faktor (h-Index), der den Output eines Wissenschaftlers basierend auf der Anzahl der Publikationen und der Anzahl der Zitationen, die diese erhalten haben, bewertet. Das letzte Wort hat dann ein Komitee oder der für die Konferenz zuständige PCO. Anschließend werden die Bewerber per Mail darüber benachrichtigt, ob ihr Antrag erfolgreich war – eine Aufgabe, für die bestenfalls dieselbe Software genutzt werden kann. Wer einen Grant erhält, hat nun Zeit, sich – ebenfalls mit Hilfe der Software – zu registrieren. Das hat zudem den Vorteil, dass die Daten der Personen nicht mehrfach in unterschiedlichen Systemen eingegeben werden müssen.

Mehr zu tun, aber…

Mehr Transparenz bedeutet seit Einführung des MedTech-Kodex erst einmal mehr Arbeit für die Organisatoren medizinischer Konferenzen. Wo sich die Teilnehmer vorher selbst um die Finanzierung ihres Tickets gekümmert haben, gibt es nun einen mehrstufigen Prozess zur Verteilung der Educational Grants. Dem höheren Verwaltungs- und Planungsaufwand können Veranstalter allerdings mit einer Software-Lösung begegnen. Damit ist am Ende auch den Besuchern und der Veranstaltung selbst geholfen, denn solange Educational Grants weiterhin verfügbar sind, wird weder die Bedeutung der Veranstaltung noch die Diversität der Teilnehmer darunter leiden.