Als die Journalistin Christiane Link 2009 in ihrem Blog Eindrücke der re:publica zusammenfasste, warf das kein gutes Licht auf die Netzkonferenz. Zumindest im Punkt Barrierefreiheit gab es damals einige teils gravierende Mängel. 2013 war Christiane Link wieder in Berlin dabei, nur diesmal fiel ihr Fazit und das anderer Teilnehmer mit Behinderung anders aus. In den Jahren dazwischen hat sich also einiges getan. Das Konzept wurde verfeinert und das Thema Inklusion ist zum Bestandteil des Programms geworden, was zeigt, dass die Rückmeldungen des Publikums ernst genommen wurden.
Vorab Zugänge finden
Was gehört nun aber konkret zu einer barrierefreien Konferenz? Treppen jedenfalls nicht. Das gilt nicht nur für die Location, die Sie sich für Ihre Veranstaltung ausgesucht haben, sondern auch für die Hotels, in denen Sie Zimmerkontingente reservieren. Mindestens eine barrierefreie Unterkunft sollte darunter sein. Wie die Umsetzung welcher Maßnahmen erfolgt, bringen Sie schon vorab in Erfahrung. Von Hotel zu Hotel variiert das bisweilen stark. Dazu kommt auch noch die Entfernung. Ein barrierefreies Hotel, über das der Veranstaltungsort schwer erreichbar ist, hilft nicht wirklich weiter – es sei denn, es gibt rollstuhlgerechte Taxis oder Sie sorgen für einen Fahrdienst.
Bei der Ankunft gibt es entweder einen barrierefreien Haupteingang für alle – das ist die schönere Lösung – oder zwei separate Eingänge. Der Weg zum Eingang mit Rampe muss ausgeschildert sein, sonst könnte schnell der Eindruck entstehen, dass Sie vergessen haben, Rollstuhlfahrern eine Tür zu öffnen. Stichpunkt öffnen: Schließen Sie einen behindertengerechten Eingang nicht ab, sobald alle im Gebäude sind. Nicht nur, dass das ein Fluchtweg ist – es ist ziemlich unpraktisch, erst einmal eine verschlossene Tür vorzufinden und nach jemandem mit einem Schlüssel suchen zu müssen. Nichtbehinderte Teilnehmer müssen das ja auch nicht tun.
Bedenken Sie die Punkte auch, wenn Sie spontane Anmeldungen vor Ort geplant haben. Wird die Teilnehmerliste hingegen vor Tag eins schon vollständig sein, sollte gleich bei der Online-Registrierung angeben werden können, ob Hilfe benötigt wird. Das beantwortet Ihnen die Frage, ob und welche Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit nötig sind. Klar lesbare Hinweisschilder erleichtern das Zurechtfinden zum Beispiel immens. Bieten Sie blinden Personen an, diese einen Tag vor dem Start durch das Gebäude zu führen, sodass sie sich während der Veranstaltung besser orientieren können.
Bereiten Sie das Personal während der Schulung auf den Umgang mit Behinderten vor. Dazu gehören besonders die Fragen, auf was geachtet werden muss oder wann Hilfe angeboten werden soll. Während der Veranstaltung sollten die Gäste jederzeit Helfer ansprechen können, die etwa Besucher mit Rollstuhl zum nächsten Fahrstuhl begleiten.
Kommunizieren hilft
Barrierefreiheit fängt allerdings schon viel früher an als die Veranstaltung, schließlich müssen die benötigten Voraussetzungen am Ort der Konferenz erst einmal geschaffen werden. Alle Maßnahmen anzukündigen sollte deshalb weit oben auf Ihrer To-do-Liste stehen. Gibt die Konferenz-Website nichts zum Thema Barrierefreiheit her und ist dazu noch nicht einmal selbst barrierefrei gestaltet, signalisiert das körperlich eingeschränkten Besuchern, dass sie dort nicht willkommen sind. Interessierte gehen in einem solchen Fall von einer nicht behindertengerechten Veranstaltung aus und melden sich gar nicht erst an. Von den perfekten Vorkehrungen, die Sie geschaffen haben, konnte ja niemand wissen. Das wäre schade, denn Barrierefreiheit ist definitiv ein großer Gewinn für eine Konferenz.
Stellen Sie Infos für behinderte Teilnehmer zusammen: Welche (technischen) Hilfen gibt es? Dürfen Begleitpersonen kostenlos mitkommen oder gibt es Ermäßigungen für diese? Wo sind die Behindertenparkplätze? Wie ist der Veranstaltungsort an den öffentlichen Nahverkehr angebunden? Ist das Tagungsgebäude mit Induktionsschleifen oder FM-Anlagen ausgestattet, die Sprache ohne Störgeräusche an Hörgeräte weiterleiten? So können alle vorab entscheiden, ob eine Anmeldung unter den Voraussetzungen infrage kommt. Um beim Beispiel re:publica zu bleiben: Die offizielle Website hat eine Unterseite, die einige Fragen zur Barrierefreiheit beantwortet. Leider ist das immer noch die Ausnahme. Zu oft gibt es solche Infos nur bei Konferenzen, die sich inhaltlich mit dem Thema Behinderung beschäftigen. Mehrere Kontaktmöglichkeiten für Rückfragen anzugeben ist hier sicherlich nicht verkehrt. Veröffentlichen Sie Informationen am besten in elektronischer Form. Kommen vor Ort noch gedruckte Handouts dazu, sollte es auch eine Version in Brailleschrift geben.
Mit ein paar kleinen Vorkehrungen werden auch Ihre Beiträge in sozialen Netzwerken barrierefrei. Facebook übernimmt die Aufgabe selbst und liest Sehbehinderten eine automatisch generierte Beschreibung für jedes Bild vor. Bei Twitter können Sie selbst eine Bildbeschreibung an jedes Ihrer Fotos anhängen. Dazu öffnen Sie einmalig die Einstellungen und wählen im Unterpunkt „Barrierefreiheit“ die Option zur Bildbeschreibung aus.
Barrieren vor Ort abbauen
Geben Sie an, in welche Sprachen die Inhalte der Konferenz übersetzt werden, ob diese also in Gebärdensprache verfügbar sind oder Schriftdolmetscher Live-Untertitel verfassen. Übersetzungen nur für die Keynote und die Abschlussveranstaltung sind zu wenig. Klar sind nicht immer genügend Kapazitäten vorhanden, sodass in manchen Räumen einfach kein Dolmetscher dabei sein kann. Halten Sie sich aber vor Augen, dass sich Nichtbehinderte ihr Programm frei zusammenstellen, während Behinderte mit den Veranstaltungen vorliebnehmen müssen, die übersetzt werden. Planen Sie also entweder für Programmpunkte, bei denen mit vielen Besuchern zu rechnen ist, Dolmetscher ein oder reagieren Sie flexibler und erkundigen sich danach, welche Veranstaltungen Gehörlose besuchen möchten, um Dolmetscher dort einsetzen zu können. Weil Hörgeschädigte von visuellen Informationen profitieren, bietet sich außerdem Graphic Recording an.
Vorsicht bei Übersetzungen durch Gebärdensprachendolmetscher, denn Gebärdensprache ist nicht gleich Gebärdensprache, besonders nicht in Kombination mit Teilnehmern aus verschiedenen Ländern. Statt einer einheitlichen Gebärdensprache gibt es auf der Welt sehr viele verschiedene, die alle eigenen Regeln folgen und sogar Dialekte haben. Große internationale Veranstaltungen wie die Deaflympics verwenden mit „International Sign“ eine Sprache, die ähnlich wie Esperanto zwar um Vereinheitlichung bemüht ist, jedoch längst nicht von allen verstanden wird. Untertitel sind bei Konferenzen mit internationaler Beteiligung also die bessere Wahl. Gehörlose etwa aus dem englischsprachigen Raum würden sich sonst untereinander nur schwer verstehen, weil es zwischen der britischen und amerikanischen Gebärdensprache große Unterschiede gibt.
Schriftdolmetscher brauchen bei der Konferenz übrigens keine Extra-Kabine, da sie selbst nichts sagen. Erforderlich sind dagegen Displays: Eines für den Dolmetscher und weitere für die Personen, für die übersetzt wird. Sitzen alle nebeneinander, reicht manchmal sogar ein einziger Bildschirm. Fragen Sie vorher, welche Geräte die Dolmetscher selbst mitbringen und welche Sie zur Verfügung stellen müssen.
Dolmetscher haben bestenfalls schon vor dem Vortrag Zugriff auf die Präsentationen, sofern die Referenten diese zur Verfügung stellen. Geht das nicht, bitten Sie die Speaker, Grafiken und Videos kurz für alle zu beschreiben, die diese nicht sehen können.
Wenn Referenten außerdem die Möglichkeit haben, ihre Präsentationen hochzuladen, kann der Veranstalter diese sammeln und später allen zentral und in digitaler Form zur Verfügung stellen. So müssen keine gedruckten Handouts erstellt werden. Stellen Sie bei alldem auch sicher, dass körperlich eingeschränkte Referenten ebenfalls ihren Vortrag halten können. Wie kommen etwa gehbehinderte Personen aufs Podium? Gibt es eine Rampe? Bei Präsentationen muss vielleicht jemand dabei helfen, zur nächsten Folie zu springen. Personen mit Rollstuhl sollten bei Vorträgen Plätze in den vorderen Reihen haben, von wo aus das Geschehen gut verfolgt werden kann. Denken Sie bei Menschen mit eigenen Assistenten immer an einen zusätzlichen Sitzplatz.
Auch beim Rahmenprogramm gilt: Alle sollten sich bei so vielen Programmpunkten wie möglich beteiligen dürfen. Stellen Sie sicher, dass alle Teilnehmer Veranstaltungen erreichen, die auswärts stattfinden. Dolmetscher für Gebärdensprache außerhalb des regulären Session-Betriebs sind ein weiterer Pluspunkt.
Beim Essen oder dem Austausch in den Pausen sind Stehtische übrigens keine gute Idee. Kleine Menschen und Rollstuhlfahrer dürften daran keine Freude haben. Beim Catering achten Sie darauf, dass Besucher mühelos alles erreichen können. Das kann insbesondere bei Buffets schnell zur großen Hürde werden, wenn Personen mit Rollstuhl sich schlecht oder gar nicht durch die Gänge bewegen können. Blinde Teilnehmer brauchen an der Stelle ebenfalls Hilfe.
Und: Kommt Ihnen das Toiletten-Problem bekannt vor? Bei Veranstaltungen mit vielen Teilnehmern nutzen Nichtbehinderte öfters die Behindertentoiletten. Sind diese schneller zu erreichen als die für Nichtbehinderte, könnte das Probleme geben, wenn viele dorthin ausweichen. Vielleicht wäre es an der Stelle besser, ein System ähnlich dem des Euroschlüssels einzuführen. Teilnehmer mit körperlichen Einschränkungen erhalten beim Check-In einen Toilettenschlüssel, der erst am Ende der Veranstaltung wieder abgegeben wird.
Eine große Rolle spielen auch Sicherheitsaspekte. Gibt es Signalanlagen, die Hörgeschädigte auf einen Alarm aufmerksam machen? Haben auch Besucher im Rollstuhl die Möglichkeit, im Notfall das Gebäude schnell zu verlassen? Sind Orientierungshilfen für Blinde vorhanden?
Nicht unerwähnt bleiben sollte an der Stelle das Projekt Ramp-Up.me, das noch weitere Tipps gesammelt hat und Ansprechpartner nennt, die dabei helfen, Locations, Tagungsprogramm und Kommunikation barrierefrei zu gestalten. Empfehlenswert ist ansonsten noch die Checkliste zur Barrierefreiheit, die die DGUV zusammengestellt hat.
Ist Barrierefreiheit teuer?
Natürlich verursachen zusätzliche Hilfsmittel zusätzliche Kosten. Bei vorausschauender Planung bleiben diese allerdings im Rahmen. Wenn Sie Ihre Veranstaltung für noch mehr Besucher öffnen möchten, sollte diese am besten an einem Ort stattfinden, an dem dafür nicht mehr allzu viele Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Viele Konferenzzentren sind bereits komplett barrierefrei und arbeiten bei speziellen Wünschen wie etwa Dolmetscherleistungen erfolgreich mit Dienstleistern zusammen. Das spart Ihnen Zeit, Rechercheaufwand und damit Geld. Finanzielle Unterstützung kann auch von externen Stellen kommen. Mit bis zu 5.000 Euro hilft beispielsweise die Aktion Mensch beim Schaffen barrierefreier Maßnahmen für Veranstaltungen.
Aus Fehlern lernen und besser werden
Barrierefreiheit bei Veranstaltungen schaffen bedeutet nicht, kurzfristig Extra-Lösungen zu finden. Vielmehr ist das Ganze als ständiger Prozess zu verstehen. Wie im Beispiel der re:publica funktioniert nicht alles auf Anhieb, sondern entwickelt sich über einige Jahre hinweg. Immer wieder wird es irgendwo noch Dinge geben, die besser laufen könnten. Vielleicht werden Sie manches austesten und es später wieder verwerfen. Wichtig ist aber vor allem, dass Sie bei allen Überlegungen Besucher-Feedback einbeziehen, denn nur dann sind echte Verbesserungen möglich.
Schließlich geht es ja darum, die Konferenz für alle erlebbar zu machen und Zugänge zu schaffen, damit noch viel mehr Interessierte die Möglichkeit haben, mit ihren Ideen Veranstaltungen zu bereichern. Veranstalter, die das verinnerlicht haben, sind auf dem besten Weg, zum Vorbild für andere zu werden und wer wäre das nicht gerne?