Rückfall in alte Muster
Früher war es weitaus schwieriger, jemanden zur Teilnahme an einer reinen Online-Veranstaltung zu bewegen. Inzwischen gibt es kaum noch einen Weg daran vorbei. Leider ist nun auch verstärkt zu beobachten, wie zeitgemäße, alternative Konzepte der Wissensvermittlung online wieder über den Haufen geworfen werden, obwohl Offline-Konferenzen sich seit Jahren verstärkt genau auf diese ausrichten. Lernen wird im virtuellen Raum plötzlich wieder zum Frontalunterricht.
Schuld an diesem Rückfall ist die Herangehensweise mancher Veranstalter, die folgende Grundsätze nicht beachten:
- Je mehr Webinar-Inhalte eine virtuelle Konferenz hat, desto weniger attraktiv ist sie für Teilnehmende.
- Wenn die Teilnahme an die Nutzung vieler verschiedener Tools geknüpft ist, wirkt sich das negativ auf das Konferenzerlebnis aus.
Was genau soll an Webinaren so verkehrt sein?
Webinare (kurz für Web-Seminare) an sich sind erst mal überhaupt nichts Schlechtes. Im Zentrum steht ein bestimmtes Thema, das meist ein oder zwei Personen einem Publikum näherbringen. Das ist gut geeignet, um einen Einblick in eine Thematik oder eine Art Anleitung zu geben – vergleichbar mit einem Tutorial oder einem Workshop. Das Vermitteln von Wissen steht dabei im Vordergrund; die Teilnehmenden sehen und hören erst mal nur zu, können aber nur sehr begrenzt selbst Einfluss auf den Verlauf nehmen.
Manchmal werden sie bei der Anmeldung danach gefragt, auf welche Aspekte eingegangen werden soll, oder es gibt ganz am Ende Antworten auf Fragen aus dem Publikum, von dessen Anwesenheit ansonsten aber nichts zu bemerken ist. Reine Webinar-Formate gestalten sich eher anonym und häufig ist unklar, wer sonst noch teilnimmt. Für Diskussionen in Echtzeit sind Webinare eher nicht ausgelegt.
Neue Personen kennenlernen und Bekannte wiedertreffen sind allerdings zwei Punkte, die für Teilnehmende einer Konferenz einen hohen Stellenwert haben. Mehr als die Hälfte der über 200 Veranstalter und Teilnehmenden, die wir im Frühjahr befragt haben, nannten Networking und das Diskutieren mit alten und neuen Bekanntschaften bei der Frage, auf welche Elemente sie auch bei virtuellen Konferenzen ungern verzichten würden.
Teilnehmende einer Konferenz wollen sich austauschen, werden bei Webinaren aber in eine Rolle gedrängt, in der genau das nicht funktioniert und es eher um das Konsumieren der Inhalte geht. Wer Wissensvermittlung nur aus der Frontalperspektive denkt, begeht als Veranstalter deshalb einen entscheidenden Fehler, denn virtuelle Konferenzen ohne interaktive Komponenten wirken leblos und unvollständig, oder kurz gesagt: nicht wie eine Konferenz.
Was kann die virtuelle Konferenz besser?
Für die Teilnahme an einem Webinar wird oft auf eines der typischen Tools wie Zoom oder GoToWebinar zurückgegriffen. Da zu einer Konferenz normalerweise noch andere Formate gehören, muss die Tool-Sammlung um entsprechende Anwendungen, etwa für den Austausch von Dateien oder das gemeinsame Bearbeiten von Dokumenten, erweitert werden.
Ist die Nutzung jedes dieser Werkzeuge allerdings an einen gesonderten Login geknüpft und vielleicht noch mit einem Download und Installation auf den eigenen Geräten verbunden, wird es zunehmend anspruchsvoll und umständlich.
Vereint eine virtuelle Konferenz stattdessen verschiedene Werkzeuge auf einer einzigen Plattform, entfallen der ständige Wechsel der Tools sowie das mehrmalige Einloggen – und Teilnehmende werden stärker ins Konferenzgeschehen eingebunden, indem sie etwa gezielte Kontaktvorschläge basierend auf ihren Interessen erhalten.
Vieles spielt sich bei einer Konferenz, bei der sich alle vor Ort begegnen, auch eher zufällig und außerhalb der Sessions ab: das Pausengespräch, die Diskussion über den gerade besuchten Vortrag, die Begegnung mit dem Sponsor, der auf ein interessantes Jobangebot zu sprechen kommt etc. Solche Begegnungen haben keine Chance, wenn die Konferenz nur aus Webinar-Videos besteht.
Und irgendwann werden selbst diese eintönig, weil sie nicht viel Raum für Variationen lassen und sich das Setting zwangsläufig wiederholt. Dazu kommt, dass es nicht möglich ist, sich tiefergehend mit den Inhalten zu beschäftigen. Da aber Fragen oder Fakten, die in Vorträgen aufgeworfen und danach weiterdiskutiert werden, eher im Gedächtnis bleiben, hilft es, wenn Teilnehmende diese gleich unter dem Video loswerden können. Die Inhalte aus den Vorträgen können so jederzeit noch einmal aufgegriffen und weiterdiskutiert bzw. -gedacht werden – der reine Webinar-Charakter geht damit verloren, was als gutes Zeichen zu werten ist.
Alles falsch machen Webinare nicht
Gleichzeitig sind Webinare oft sehr praktisch angelegt und darum – zumindest was die Thematik betrifft – ein Ansatz, an dem sich das Programm der Konferenz orientieren kann. Webinar-Inhalte drehen sich oft um aktuelle Fragen oder Probleme, mit denen sich Teilnehmende im Alltag konfrontiert sehen. Wenn Veranstalter wissen, was ihr Publikum bewegt, können sie das Programm danach ausrichten, und die Themen der Sessions um einen Mix aus interaktiven Elementen und Formaten erweitern. Dazu gehören dann zum Beispiel:
- Diskussionsrunden und Panels
- Umfragen
- World Cafés und Breakout-Sessions (viele alternative Konferenzmodelle lassen sich auch online gut abbilden)
- 1:1-Chats
- kollaborative Formate, bei denen Teilnehmende gemeinsam ein virtuelles Whiteboard bearbeiten
- Formate für Sponsoren und Aussteller, die mit einem eigenen Profil und Bannern vertreten sind, Infomaterial dabeihaben und für Chats zur Verfügung stehen
- Online-Kaffeepausen
- Kontaktvorschläge, um schneller auf Personen mit denselben Interessen zu stoßen
Aus allen Elementen ergibt sich am Ende eine Umgebung, die Teilnehmenden das Gefühl vermittelt, Teil einer Konferenz zu sein, die Lernen und Networking miteinander verbindet, und damit sehr nah dran ist an einer physischen Konferenz.
Einzelne Programmpunkte mit Webinar-Charakter schaden einer Konferenz folglich nicht. Nur dürfen sie nicht den Großteil des Programms ausmachen und Veranstalter sollten darauf achten, dass es immer eine Möglichkeit gibt, die Diskussion über das Thema anschließend fortzusetzen oder den eher starren Webinar-Ablauf zu unterbrechen, indem auch mal spontane Einwürfe aus dem Publikum aufgegriffen werden.
Zwar sind auch Teilnehmende nach einem Webinar bestenfalls schlauer als vorher, aber nur die Konferenz vermittelt als Extra noch ein gemeinschaftliches (Lern-)Erlebnis.
Wie sieht das bei Ihrer Planung aus? Wie weit bewegt sich Ihre virtuelle Konferenz vom reinen Vortragsformat weg?